Die Elbe. Europas Geschichte im Fluss by Uwe Rada

Die Elbe. Europas Geschichte im Fluss by Uwe Rada

Autor:Uwe Rada [Rada, Uwe]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kulturgeschichte, Europa, Natur, Geschichte, Elbe, Mitteleuropa, Prag, Dresden, Magdeburg, Hamburg
ISBN: 9783886809950
Google: X_7ANAEACAAJ
Amazon: 3886809951
Herausgeber: Siedler
veröffentlicht: 2013-03-01T23:00:00+00:00


KAPITEL SECHS

Der Fluch der Als-ob-Stadt

Theresienstadt sucht seine Zukunft

Das Kolumbarium in Theresienstadt: Im November 1944 wurde die Asche von 22000 Toten des Ghettos und des Gestapo-Gefängnisses in die Eger unweit der Elbmündung geschüttet.

ASCHE IN DIE EGER

Im November 1944 verwandelte sich die Eger in einen Fluss des Todes. Vor dem Kolumbarium, dem Verlies, in dem die Asche der Toten in Papierurnen aufbewahrt wurde, fuhren Traktoren auf. Sämtliche Häftlinge, auch Frauen und Kinder, mussten Hand anlegen und die Urnen auf die Hänger laden. Dann ging es durch das Untere Wassertor hinab zur Eger. Einige hundert Meter marschierte die Kolonne neben den Traktoren. Dann war die Stelle erreicht, an der die Eger schmaler wird und Fahrt aufnimmt.

In der Dämmerung waren noch die Türme von Leitmeritz und die Basaltkegel des Böhmischen Mittelgebirges zu erkennen. Doch die unfreiwilligen Totengräber, die an diesem Novembertag ans Untere Wassertor abkommandiert waren, hatten keinen Blick für die Schönheit der Eger und der Landschaft an der Mündung in die Elbe. Sie hatten den Befehl, die Asche von 22000 verstorbenen Bewohnern des Ghettos Theresienstadt und des Gestapo-Gefängnisses in der benachbarten Kleinen Festung in den Fluss zu schütten.

Susanne Stern war damals an der Eger dabei: »Wie wir später erfuhren, lautete der Befehl dahin, im Schutze der Dunkelheit die Asche in den Fluss zu werfen. Von Zeit zu Zeit öffnete sich eine der Büchsen, und die Asche verstreute sich. Kalt und feucht war es (…), und dazu kam noch der schreckliche Modergeruch. Viele Stunden arbeiteten wir so. Dann kam die Dunkelheit, und wir waren sehr müde. Petroleumlampen wurden angezündet. Jetzt wurde der Ort wirklich furchterregend. Die Asche der Toten in den Händen und die Schatten der Lebenden an den Mauern.«

Susanne Stern, geborene Fall, lebte vor dem Einmarsch der Deutschen in die »Rest-Tschechei« in Mährisch-Ostrau. 1943 wurde sie zusammen mit ihrer Mutter Else nach Theresienstadt deportiert. Als das Ghetto und das KZ befreit wurden, war sie 25 Jahre alt. Sie starb 2003. Ihre Zeugnisse aus Theresienstadt werden heute im Archiv des Beth Theresienstadt in Givat Chaim in Israel aufbewahrt.

In ihren Erinnerungen erzählt Susanne Stern nicht nur von den »Belohnungen«, die es für die Arbeit am Ufer der Eger gab: ein Stück Zucker, der sogleich »Aschezucker« genannt wurde. Sie stellt auch die Frage nach dem Warum an diesem und den folgenden drei Novembertagen: »Ist es möglich, dass die Deutschen glauben, auf diese Weise irgendwelche Spuren verwischen zu können?«

Im Erinnern an die Schoah nimmt Theresienstadt bis heute eine besondere Rolle ein. Schon die unmittelbare Nachbarschaft von Ghetto und Gestapo-Gefängnis war eine Besonderheit in der Vernichtungsarchitektur der Nazis. Aber auch der Standort war, meint Wolf Murmelstein, Sohn des letzten Ältesten im Theresienstädter Judenrat, ein »Sonderfall in der Geschichte der Schoah«. Theresienstadt lag südlich der Elbe und gehörte damit zum von Hitler-Deutschland besetzten »Protektorat Böhmen und Mähren«. Leitmeritz dagegen, am nördlichen Elbufer gelegen, war nach dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938 »heim ins Reich« geholt worden. Weil die Einrichtung von Ghettos im Reich nicht vorgesehen war, erklärt Wolf Murmelstein, fiel die Wahl auf das nur drei Kilometer von der Reichsgrenze entfernte Theresienstadt.



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